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Geschichte Bad Emstals

Bad Emstal – Mittelpunkt einer historischen Landschaft

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ann beginnt die Geschichte unserer Gemeinde Bad Emstal?
Diese Frage zu beantworten, ist schwieriger als es auf den ersten Blick erscheint. Gehen wir deshalb auf dem Zeitstrahl ein Stück weit zurück.

Wir kommen zunächst im Jahr 1992 an. Unserer Gemeinde wird der Titel Heilbad verliehen und sie darf sich nun Bad Emstal nennen.
Doch ihre Geschichte beginnt nicht erst am Ende des 20. Jh. Unsere Heimatgemeinde trägt seit dem lediglich einen neuen Ortsnamen.

Wir tauchen 20 weitere Jahre in die Vergangenheit ein. In Hessen beginnt eine nicht unumstrittene große kommunale Gebietsreform. Die Hessische Landesregierung will größere, leistungsfähigere Gemeinden und Landkreise schaffen und setzt durch Vergünstigungen beim kommunalen Finanzausgleich Anreize für einen freiwilligen Zusammenschluss. Balhorn, Merxhausen, Riede und Sand bilden vor diesem Hintergrund 1972 ein neues Gemeinwesen, die Gemeinde Emstal. Doch auch diese Fusion kann nicht als Beginn der Geschichte unseres Ortes gelten. Denn schon 1967 hatten sich Merxhausen und Sand zusammengeschlossen und ihrer Gemeinde den Namen Emstal gegeben.

Orts- als Landschaftsgeschichte

Unser Zeitstrahl teilt sich jetzt in vier historische Bahnen, nämlich die der einzelnen Ortsteile. Doch je weiter wir in die Vergangenheit schreiten, auf desto mehr Zeitstrahlen stoßen wir. Längst vergessene, vor Jahrhunderten untergegangene Ortschaften mit eigener Geschichte begegnen uns. Die Historiker nennen sie Wüstungen.

Wir müssen innehalten und feststellen, wir haben die Ausgangsfrage falsch gestellt. Wir können nicht von der Geschichte Bad Emstals sprechen, denn dieser Ort ist ein Konstrukt moderner Zeiten. Vielmehr sollten wir uns der historischen Landschaft um Spolebach, Fischbach, Ems, Stellbach und Sombach zuwenden. Aus ihr ist am Ende einer jahrtausendelangen Entwicklung die Gemarkung unserer heutigen Gemeinde entstanden.


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Vor- und Frühgeschichte

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ollen wir die Besiedlungsgeschichte dieser Landschaft bis in ihre Frühzeit ergründen, reichen schriftliche Überlieferungen nicht aus. Archäologische Bodenfunde müssen zum vorderen Teil der Geschichte – der Vorgeschichte – befragt werden. Wissenschaftliche Grabungen fanden in unserem Raum allerdings noch nicht statt. Auch systematische Geländeprospektionen stehen erst am Anfang. Die wenigen bekannt gewordenen archäologischen Funde können die schriftlose Zeit unserer Landschaftsgeschichte nur schlaglichtartig beleuchten. Gleichwohl gelten Bodenfunde als wichtige historische Quellen.

Sie erzählen uns vom Neandertaler, der vor etwa 50.000 Jahren das Balhorner Hochland und die Hänge unterhalb des Kuhberges durchstreifte. Einfache Steinwerkzeuge sind als Zeugnisse seiner Jagdaktivitäten erhalten geblieben.

Vor etwa 40.000 Jahren wanderte der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens, aus Afrika nach Mitteleuropa ein und erreichte auch unsere Region. Er hinterließ sorgfältig retuschierte Geräte aus Kieselschiefer, Quarzit und Feuerstein, die auf Äckern der heutigen Gemarkungen Sand und Balhorn aufgelesen worden sind.

Am Ende des Eiszeitalters erwärmte sich das Klima rasch und die Steppenlandschaft wich lichten und später immer dichter werdenden Wäldern. Diese Epoche wird als Mittelsteinzeit (10.000 bis 5.500 v. Chr.) bezeichnet. Mehrere Klingen und winzig kleine Artefakte – sog. Mikrolithen – aus dem Spolebachtal belegen Lagerplätze aus dieser Epoche.

Im 6. Jahrtausend v. Chr. wanderten vom Plattensee die ersten Ackerbauern und Viehzüchter nach Niederhessen ein. Die Jungsteinzeit beginnt. Geschliffene Beilklingen unterschiedlicher Form, durchbohrte Äxte aus Felsgestein sowie Pfeilspitzen und Messer aus Feuerstein zeigen, dass in unserem Raum während der verschiedenen Kulturen der Jungsteinzeit (5.500 bis 2.200 v. Chr.) Menschen lebten. Keramikfunde, die ihre Siedlungsplätze anzeigen, sind bisher aber noch nicht entdeckt worden.

Aus der anschließenden Bronzezeit (2.200 – 800 v. Chr.) stammen Feuersteinpfeilspitzen vom Krägenberg und ein bronzenes Tüllenbeil vom Remmenhausener Kopf. Ob die im Wald zwischen Martinhagen und Sand gelegene Grabhügel aus der mittleren Bronzezeit stammen, lässt sich ohne Grabung nicht beantworten. Ein nördlich des Wolfsholzes entdeckter Bestattungsplatz mit 38 Urnengräbern enthielt auch einzelne Gräber der Spätbronzezeit, der sog. Urnenfelderkultur.


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Altsteinzeitlicher Schaber; Flur „Blockhecke“, Bad Emstal-Balhorn (Heidi Hogel, hessen-Archäologie, Marburg)



Während der Hallstattzeit (800 – 450 v. Chr.) scheint unser Raum relativ dicht besiedelt gewesen zu sein. Im Tal des Spolebachs, in der Umgebung des Krägenbergs, am Sombach und im Tal der Ems kamen Gefäßscherben von Gebrauchskeramik ans Tageslicht. Gräber aus dieser Zeit kennen wir vom schon erwähnten Gräberfeld nördlich des Wolfsholzes, aus der Gemarkung Balhorn und von einem Fundplatz zwischen Riede und Kirchberg.

In der Laténezeit (450 v. Chr. bis Chr. Geburt) beeinflusst die keltische Kultur Süddeutschlands unser Gebiet. Auf der Altenburg errichten Siedler eine stadtartige, befestigte Ansiedlung mit einer ausgedehnten Wallanlage. Eine am Falkensteiner Sattel gefundene eiserne Schaftlochaxt und eine Randscherbe dürften mit ihr in Verbindung stehen. Aus keltischem Gebiet stammt die auf einem Feld bei Balhorn entdeckte goldene Münze aus dem 1. Jh. v. Chr. 

Gegen Ende der Laténezeit kommt es zu einschneidenden kulturellen Umbrüchen. Neue Sachgüter aus dem elbgermanischen Gebiet lösen keltische Einflüsse ab. Im Wald südwestlich von Martinhagen wurde 1935 ein Grab dieser Epoche geöffnet. In einer teilweise mit Steinen eingefassten rundlichen Grube lagen das Fragment einer bauchigen Urne und ein Eisenteil – vielleicht eine Fibel – aus dieser Zeit.  

Aus frühen Schriftzeugnissen römischer Historiker erfahren wir, dass in unserer Region seit Beginn des 1. Jh. n. Chr. die germanischen Chatten siedelten. Sie scheinen in der Völkerwanderungszeit nicht abgewandert zu sein. Aus der lateinischen Bezeichnung chatti ist nämlich der Name hassi bzw. hessi hervorgegangen, was für eine Besiedlungskontinuität spricht. Leider sind in unserem Raum noch keine archäologischen Spuren der Römischen Kaiserzeit (Chr. Geburt – 375 n. Chr.) und der Völkerwanderungszeit (375 – 500 n. Chr.)  entdeckt worden.


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Bronzenes Tüllenbeil der späten Urnenfelderkultur; „Steinbrüche“, Bad-Emstal-Sand (Hübner)


Frühmittelalter (500 – 1050)

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egen Ende des 6. Jh. scheint die niederhessische Senke – wohl auf friedlichem Wege – in das fränkische Reich einbezogen worden zu sein. Die Sachsen bedrängten im 7. Jh. den nordhessischen Raum. Er wurde zum Aufmarschgebiet der fränkischen Reichsgewalt gegen diesen kriegerischen Stamm. Der heilige Bonifatius vollzog im 8. Jh. die Christianisierung des chattischen Kernlandes an Eder und Fulda.

Der frühmittelalterliche Landesausbau ist mit einem deutlichen Bevölkerungswachstum verbunden. Die Weiler und Dörfer orientierten sich meist an Bachläufen und lagen auf leicht geneigten Hängen.

In unserem Raum begegnen uns das St. Petersstift in Fritzlar, die Klöster Hasungen, aber auch Hersfeld und Fulda, neben regionalen Adelsfamilien als Grundherrn. Schauen wir uns die einzelnen Siedlungen kurz an.

Mutslar

Auf einer Hangterrasse oberhalb der Ems – bei „Rüppels Keller“ – gefundene Keramikscherben belegen die älteste Siedlung unserer Kleinlandschaft. Sie datieren ins 9/10. bis ins 15. Jh. Einzelne Gefäßböden reichen gar bis ins 7./8. Jh. zurück. Es dürfte sich um den Standort der Wüstung Mutslar handeln. Der Name dieses Dorfes wird erstmals 1081 überliefert. Das Kloster Hasungen, das St. Petersstift in Fritzlar, das Kloster Merxhausen, Graf Friedrich von Wildungen, die Ritter von Elben und seit Mitte des 14. Jh. die hessischen Landgrafen hatten hier Güterbesitz. Mutslar muss ein größeres Dorf gewesen sein, denn im 14. Jh. werden mehrere Gehöfte mit Hufenbesitz, Weideland und Wald – das Pfaffenholz –, eine Mühle an der Ems und arme Tagelöhner genannt. Mitte des 15. Jh. ist das Dorf wohl aufgegeben worden.

Berningshausen

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Bad Emstal-Riede: Sombachtal, Standort der Wüstung Berningshausen


Im lieblichen Sombachtal, südwestlich von Riede, kamen nördlich des Baches umfangreiche Keramikfunde zutage. Die meisten bezeugen eine hoch- und spätmittelalterliche Siedlung. Die ältesten Funde stammen aber schon aus dem 8./9. Jh.  Das Dorf Berningeshusen ist also schon im Frühmittelalter gegründet worden, auch wenn sein Name erst 1261 urkundlich genannt wird. Das St. Petersstift und das Hospital der Augustinerinnen in Fritzlar und mehrere örtliche Adelsfamilien waren in Berningshausen begütert. Auch Angehörige einer Adelsfamilie von Berningshausen sind überliefert. Der Flurname „Auf der Kirche“ in der Nähe des Fundortes deutet auf den Standort der Kirche hin.1443 brannte Ritter Reinhard von Dalwigk das Dorf nieder. Die wenigen verbliebenen Dorfmänner bauten ihre Höfe nicht wieder auf. Die Feldflur Berningshausen bestand aber noch bis Ende des 19. Jh. 1530 hatte sie das Hospital Merxhausen erworben.

Balhorn

Im Güterverzeichnis des Klosters Hersfeld vom Anfang des 9. Jh. taucht der Name Balahorna erstmals auf. Der Gründer und spätere Mainzer Erzbischof Lull übertrug das Hersfelder Kloster mit allen Besitzungen – auch das Dorf Balhorn – 775 auf Karl den Großen. Zu dieser Zeit nahm Balhorn wohl schon administrative und militärische Funktionen für das fränkische Reich wahr, denn nach ihm ist die Grenzmark Balahornorum benannt. Auch die Klöster Fulda, Hasungen und das St. Petersstift Fritzlar waren in Balhorn begütert. Seit 1357 wird Balhorn als landgräfliches Dorf mit Gerichtssitz bezeichnet. 1342 erscheint erstmals die Kirche in Balhorn in der urkundlichen Überlieferung. Bis dahin war der Ort nach Holzkirchen – einer Wüstung nordwestlich des Dorfes – eingepfarrt.

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Kirche in Bad Emstal-Balhorn (Wogner)

Almuthshausen

Den genauen Standort dieses untergegangenen Dorfes kennen wir nicht. Im Merxhäuser Zinsregister lesen wir, eine Wüstung Almateshusen habe nahe beim Kloster gelegen. Eine Urkunde des Klosters Hersfeld aus der Zeit zwischen 949 und 957 nennt zum ersten Mal den Ortsnamen Almundeshusa. Im 12. Jh. und 13. Jh. erscheinen das Kloster Hasungen und das St. Petersstift als Grundherren in der urkundlichen Überlieferung. Schließlich gelangte der Ort 1225 an das damals noch junge Kloster Merxhausen. Ende des 14. oder Anfang des 15. Jh. scheint Almuthhausen von seinen Bewohnern verlassen worden zu sein.

Schwalgenhausen

Bei einer Geländeexkursion wurden unterhalb des Wartberges, beiderseits des kleinen Bachlaufes in großer Zahl Gefäßscherben mittelalterlicher Gebrauchskeramik gefunden. Sie stammen aus dem 11./12. bis 13./14. Jh. Einzelne Funde können noch etwas älter sein. Das Fundmaterial zeigt uns den Standort des untergegangenen Dorfes Schwalgenhausen an. Urkundlich ist sein Name Scallingehusen erstmals 1209 in einem Güterverzeichnis des St. Petersstifts Fritzlar überliefert. Im 13. und 14. Jh. erwirbt das Kloster Merxhausen Ländereien in Schwalgenhausen durch Kauf und Schenkung. Gegen Ende des 14. Jh. dürfte das Dorf wüst verlassen worden sein.

Hochmittelalter (1050 – 1250)

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en Höhepunkt erreicht die Besiedlungsentwicklung in den Tälern von Spolebach, Fischbach, Ems, Stellbach und Sombach im Hochmittelalter. Die Gründung von elf Dörfern lässt sich nachweisen. Gleich vier finden wir in der Urkunde Erzbischofs Sigfried von Mainz über die Gründung des Klosters Hasungen aus dem Jahr 1081.

Holzkirchen

Dieses Dorf stand einst – wie archäologische Funde zeigen – nordwestlich von Balhorn am Holzkirchenborn. Die Keramikfunde stammen aus dem 13. bis 15. Jh. Zu Beginn des 20. Jh. kam bei Erdarbeiten in der Nähe der Quelle eine große Menge menschlicher Kochen ans Tageslicht. Hier lag der Friedhof mit der Kirche. Die Kirche ist auch urkundlich bezeugt, denn 1235 bis 1350 werden Pfarrer in Holzkirchen genannt. Neben dem Kloster Hasungen war auch das St. Petersstift in Fritzlar in Holzkirchen begütert. Heinrich von Holzkirchen, ein Angehöriger eines niederen Ortsadels, bezeugt Mitte des 13. Jh. Urkunden des Klosters Hasungen. Vermutlich Anfang des 15. Jh. fiel der Ort wüst, aber die Feldmark blieb bestehen. Denn noch 1515 zahlen 9 Personen aus Holzkirchen Steuern auf ihre Grundstücke.

Rammershausen

Diese Wüstung lässt sich bisher nicht lokalisieren. Nach der Niveaukarte es Kurfürstentums Hessen soll sie südlich des Remmenhausener Kopfes gelegen haben. 1081 wird ihr Name erstmals in der schon erwähnten Hasunger Urkunde genannt.1298 gehen 4 Hufen in Ramershusen auf die hessischen Landgrafen über. Eine Ortsadelsfamilie lernen wir im 13./14. Jh. kennen. Wann das Dorf aufgegeben worden ist, wissen wir nicht. 1541 ist bei Streitigkeiten zwischen Oberförster Klaus Friedrich und dem Merxhäuser Vogt Hermann Binzinger nur noch von Waldnutzungsrechten bei Remenhausen die Rede.

Simmenhausen

Auf der Niveaukarte des Kurfürstentums Hessen von 1843 lesen wir am Waldrand östlich von Balhorn den Eintrag Simmenhausen. Der Flurname Simme-Hause erinnert ebenfalls daran, dass hier einmal eine Siedlung stand. Ob es sich dabei um den 1081 in der Mainzer Urkunde über die Gründung des Klosters Hasungen genannten Ort Simanneshusun handelt, können wir nicht beantworten. Auch sonst ist wenig über dieses Dorf bekannt. 1557 werden Abgabenpflichten in Simtehusen im Merxhäuser Salbuch und 1579 für Simmedehusen im Gudensberger Salbuch genannt. Zu dieser Zeit dürfte der Ort bereits nicht mehr bestanden haben.

Riede

Seit der Ersterwähnung des Dorfes Riethun 1074 ist dort bis Mitte des 12. Jh. Besitz des Klosters Hasungen nachweisbar. Auch das St. Petersstift in Fritzlar ist hier begütert.1242 übertrug der Mainzer Erzbischof die Kapelle zu Riede auf das Kloster Merxhausen. Riede wurde später landgräfliches Dorf. 1356 gab es Landgraf Heinrich den von Wehren zu Lehen. Henne von Wehren verkaufte es1443 an Johann von Meisenbug. Bis 1810 blieb es im Besitz dieser Familie. 1826 erwarben es die von Buttlar auf Elberberg. Auf den Resten eines mittelalterlichen Baues errichtete Leo von Meisenbug 1593 ein Renaissanceschloss, das mehrfach umgebaut und erweitert wurde. 1770 ließ Heinrich von Meisenbug einen Landschaftspark nach englischem Vorbild anlegen. Er machte Schloss Riede zu einem Treffpunkt von Künstlern und Gelehrten aus Kassel und darüber hinaus. Beim Roden eines Feldrains entdeckten zwei Rieder Bürger 1876 einen vergrabenen Steinzeugkrug mit 239 Münzen aus dem 14. Jh. Im 19. Jh. bestand in Riede eine kleine jüdische Gemeinde, zeitweise mit eigener Synagoge.


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Bad Emstal-Riede: Schloss (Zimmermann)


Merxhausen

1151 begegnet uns Godefridus de Merkirshusun, wohl ein Angehöriger des niederen Ortsadels, vielleicht sogar der Gründerfamilie von Merxhausen. Bei dem in einer Urkunde Kaiser Ottos II. von 973 erwähnten Martharahuson dürfte es sich nicht um Merxhausen, sondern eher um die Wüstung Marzhausen bei Witzenhausen handeln. 1213 bestätigt Erzbischof Siegfried von Mainz die Gründung des Klosters. Fromme Frauen und Männer wollten hier nach den Regeln des Augustinus ein Leben für Gott führen. Schon damals bestand eine Kirche, welche die Glaubensgemeinschaft erworben hatte. 1256 war die neue Klosterkirche fertiggestellt und wurde geweiht. Bis 1811 diente sie auch als Pfarrkirche. Das Pfarrhaus von 1524 hat sich bis heute erhalten. 1489 lösten Augustiner-Mönche die Nonnen ab. Aber schon 1527 löste Landgraf Philipp der Großmütige alle hessischen Klöster – so auch Merxhausen – auf. Er wandelte die Einrichtung 1533 in ein Hospital für Arme, Kranke, Bedürfte und Behinderte der niederhessischen Landbevölkerung um. Im 19. Jh. baute der Bezirksverband Kassel das Hospital zu einer Anstalt für Geisteskranke aus. Noch heute bestehen hier psychiatrische Fachkliniken und Betreuungsangebote für seelisch behinderte Menschen. Seit 1929 existiert auch die politische Gemeinde Merxhausen.


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Bad Emstal-Merxhausen: Nordfassade der romanischen Klosterkirche (Hübner)


Fischbach

Bei Erd- und Kanalbauarbeiten im damaligen Neubaugebiet Kitzhagen in Sand stießen Bauarbeiter auf die Reste eines Gebäudes. Die geborgenen Keramikscherben ließen sich ins 13. und 14. Jh. datieren. An dieser Stelle – östlich oberhalb des gleichnamigen Baches – dürfte das Dorf Fischbach gestanden haben. 1209 wird es im Güterverzeichnis des St. Petersstifts Fritzlar erstmals genannt. 1243 kauft das Kloster Merxhausen zwei Drittel von Visbach und 1383 einen Garten. Regionale Adelsfamilien waren in diesem Dorf begütert. Ende des 14. Jh. wird es als landgräfliches Dorf bezeichnet. 1544 war das Dorf verlassen.

Geilenrod

Im Stellbachtal, nordwestlich des Erzebergs, knapp außerhalb der heutigen Gemarkung von Bad Emstal, liegt die Wüstung Geilenrod. Durch Keramikscherben aus dem 12./13. bis 14. Jh. lässt sich der Standort des Dorfes exakt lokalisieren. Massenhaft gefundene Ziegelfragmente und größere Sandsteine markieren den Standort der Kirche. Geilenrot gelangte mit seiner Kirche 1213 an das Kloster Merxhausen. Schon 1209 ist das St. Petersstift hier begütert. 1433 erwirbt Werner von Elben das alte Geylenrad. Damals lag der Ort also schon wüst.

Hohenfeld

Ebenfalls im Güterverzeichnis des St. Petersstifts Fritzlar erscheint 1209 das Dorf Holdenvelt. Hohenfeld soll nordwestlich von Sand auf der Hochfläche oberhalb des Fischbachtals gelegen haben. Dieses Gelände ist aber als Siedlungsgebiet denkbar ungeeignet. Bisher konnten hier auch noch keine archäologischen Hinweise auf das Dorf entdeckt werden. Auch sonst wissen wir nichts über Hohenfeld, außer dass die Wüstung 1544 dem Hospital Merxhausen gehörte. Balhorn, Merxhausen und Sand durften die Feldmark als Viehweide nutzen.

Offenhausen

1778 lesen wir von einem „Hof, der einem Privatus gehöret, nahe bey dem Dorfe Sand“. Gemeint ist das 1742 errichtetes Gutswohnhaus des einstmals selbständigen Dorfes Offenhausen. Es zog sich das kleine Seitental – die Finkenburg genannt – hinauf. Hier lag, wie archäologische Funde zeigen, die Kirche mit dem Friedhof. Mitte des 19. Jh. konnte man den Kirchhof noch erkennen. 1209 wird Offenhusen zum ersten Mal urkundlich als Besitz des St. Petersstifts in Fritzlar erwähnt. 1242 gelangte das Dorf mit der Pfarrei an das Kloster Merxhausen. 1357 wird es landgräfliches Dorf bezeichnet. Gegen Ende des 15. Jh. ist das Dorf dann vergelassen, denn 1535 wird es nur noch als Wüstung bezeichnet.

Reimboldshausen

1209 besaß das St. Petersstift in Fritzlar Einkünfte im Dorf Reinboldehusen. Wir wissen nicht, wo dieser Ort einst lag. Er wird im Tal der Ems, nordwestlich der Burg Falkenstein, beim Rammenhauser Graben vermutet. Das Fritzlarer Stift war noch bis 1359 in Renboldehusen begütert. Damals wird der Ort nur noch als campi, als Feld, bezeichnet. Er war Mitte des 14. Jh. bereits verlassen. Ritter Hermann von Holzhausen schenkte 1236 Güterbesitz in Reinboldehusen dem Kloster Merxhausen. Das Schiedsgericht in Gudensberg schlichtete 1524 Streitigkeiten zwischen den Männern aus Sand und dem Kloster Merxhausen über Holz- und Nutzungsrechte.

Wagenhausen

Mit der Gründungsurkunde übergab Erzbischof Siegfried von Mainz 1213 dem Kloster Merxhausen die Kirche in Wagenhusen. Wo dieses Dorf lag, wissen wir nicht. Es wird im Umfeld der Weißenthalsmühle südlich des Klosters vermutet. Bis 1266 erweiterte das Kloster seinen dortigen Besitz. 1255 hat auch das St. Petersstift hier Einkünfte. Das weitere Schicksal des Dorfes liegt im Dunklen.

Spätmittelalter (1250 – 1500)

Wir haben nun schon 16 Siedlungen in unserer Kleinlandschaft um Spolebach, Fischbach, Ems, Stellbach und Sombach kennengelernt, doch wo bleibt Sand, der heutige Hauptort Bad Emstals? Er steht mit dem Dorf Emserberg am Ende des Besiedlungsprozesses.

Sand

Auf Urkunden von 1354 und 1358 über das Dorf Mutslar finden wir die späteren Vermerke „Mutslar zum sante“ bzw. „Muczlar dictus tzum Sande prope Mergkshusen“. In der früheren Mutslarer Feldflur ist wohl im 15. Jh. die neue Siedlung Sand entstanden. Ihr Name wird 1448 überliefert, als Reinhardt von Dalwigk und Friedrich von Hertingshausen mehrere Dörfer – darunter auch Sand – an Landgraf Ludwig I. übergeben. In der Amtsrechnung des Amtes Gudensberg wird 1462 die Ortschaft Sand als neu erbautes Dorf genannt. 1519 besitzt das Dorf eine Kapelle. Bis dahin besuchten die Sander den Gottesdienst in der Kirche Merxhausen. 1779 baut die Gemeinde mit Unterstützung Landgraf Friedrich I. eine größere Kirche. 1910 wird sie in der heutigen Form umgebaut.


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Postkarte  1908 (KuG-Archiv)


Emserberg

Im Wald, am Westhang des Emserberges konnten Keramikscherben aus dem 13./14. Jh. aufgelesen werden. Sie stammen vom Dorf Emseberge, das 1335 erstmals genannt wird. 1344 erwirbt es das Kloster Merxhausen. 1399 und 1403 erscheint nur noch ein Hof Emesberg in der urkundlichen Überlieferung. 1444 vergibt Landgraf Ludwig zwei Güter zu Mensberg. Auch der letzte Hof scheint jetzt aufgegeben worden zu sein. 1544 erwirbt das Hospital Merxhausen Wiese und Gehölz am Emserberg.

Selbach

Über diesen Ort – vielleicht auch nur ein Hof – wissen wir kaum etwas. Er soll eine Viertelstunde südlich von Merxhausen gelegen haben. Das St. Petersstift hatte Selbach 1448 bis 1486 den von Elben zu Lehen gegeben.

Burg Falkenstein

Im Spätmittelalter krönte eine Burg – die einzige in unserer Kleinlandschaft – den Basaltkegel des Falkensteins. Wer sie zur Kontrolle einer alten Straße erbauen ließ, wissen wir nicht. Keramikfunde deuten darauf hin, dass sie Ende des 13. Jh. errichtet worden ist. Erhalten geblieben sind nur noch ein hohes Mauerstück vom Palas mit einem Fenster und der Ecksäule eines Kamins. Ebenso der gegenüber liegende Rest einer gebogenen Schildmauer. Schon Anfang des 14. Jh. war die Burg zerstört oder verfallen. 1346 verpfändete sie Landgraf Heinrich II. an die von Hund und von Holzhausen. Sie sollten sie wiederaufbauen. Wegen Streitigkeiten wechselten die Besitzer der Burg häufiger. 1569 erhielten sie die Hund von Kirchberg und die von Grifte zu Lehen. 1679 fiel sie an das Haus Hessen zurück. Südsüdöstlich unterhalb des Basaltkegels der Burg lag ihr Wirtschaftshof, der 1655 noch betrieben wurde.

Die historische Überlieferung nennt drei weitere Wüstungen, über die nur sehr spärliche Informationen vorliegen. Gulcherstuck gehörte 1544 als wüst gefallener Ort dem Hospital Merxchausen. Sand und Balhorn durften die Weide nutzen. Das Gut Ludenstocke brachte 1433 das Kloster Merxhausen in einen Gütertausch mit denen von Hund ein. 1344 überließ Landgrafschaft Heinrich II. die halbe Wüstung Richinbach (Reichenbach) denen von Hund und von Holzhausen. 1378 fiel sie an die Landgrafen zurück. Das Gehöft oder der kleine Weiler könnte zur Burg Falkenstein gehört haben.


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Burg Falkenstein 1605 (Wilhelm Dilich)


Auf dem Weg in die Gegenwart

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uf unserem Weg durchs Mittelalter haben wir 22 Siedlungen in unserer historischen Landschaft um Spolebach, Fischbach, Ems Stellbach und Sombach kennengelern; ungewöhnlich viele für eine solch kleine Region. Doch Klimaverschlechterung, Seuchen, Preisverfall bei Agrarprodukten, Fehden, das Ende der Grundherrschaft und die Anziehungskraft der Städte führten zur spätmittelalterlichen Wüstungsperiode. „Stadtluft macht frei“, so hieß es, und die jungen Städte wie Niedenstein, Wolfhagen, Naumburg und Fritzlar lockten die Landbevölkerung an. Aber Bewohner verließen auch ihr Dorf, weil sie sich im Nachbarort ein besseres Leben versprachen. So zogen die Bauern aus Berningshausen nach Lohne und Riede, als ihr Dorf zerstört worden war. Die Mutslarer zog es aus dem Tal der Ems auf die Höhe nach Sand. Wahrscheinlich gab es wirtschaftliche Schwierigkeiten, weshalb die Holzkirchener nach Balhorn gingen.

Anfang des 16. Jh. waren nur noch die Orte Balhorn, Riede und Sand sowie das Kloster Merxhausen übriggeblieben. Die Beamten Landgraf Wilhelm IV. zählten 1585 gerademal 184 Haushalte in den drei Dörfern, im Hospital Merxhausen gab es keine. Die meisten Menschen führten ein bescheidenes, ja ärmliches Leben als Bauern, Handwerker oder Tagelöhner. Krankheit und Missernten gefährdeten ihr Dasein. Sie litten unter den Kriegsereignissen des 17. und 18. Jh. Zerstörte Häuser, niedergebrannte Felder und gestohlenes Vieh brachte sie um ihre Existenz und oftmals zum Hungertod.

Besonders der 30jährigen Krieg (1618 – 1648) sorgte für existentielle Not und großes Leid. Der kaiserliche Feldherr Tilly durchzog mit seinen Truppen dreimal das Wolfhager Land. Er suchte dabei Sand und das Kloster Merxhausen heim und zerstörte die Burg Falkenstein. Auch die Truppen der protestantischen Union verschonten unsere Region nicht und verwüsteten Balhorn. 1923 entdeckte der Zimmermann Julius Gillich beim Roden eines Hanges am damaligen nördlichen Ortsrand von Sand einen Schatz. Die 175 Münzen sind sicherlich in den Wirren des 30jährigen Krieges hier vergraben worden, denn die Schlussmünze stammt von 1622. Der Besitzer kam nicht mehr dazu, sie später wieder zu bergen. 

Im 7jährigen Krieg (1756 – 1763) zogen Heere plündernd durch das unser Land. Die bodenständige Bevölkerung verstand es aber, die Friedenszeiten zum Wiederaufbau zu nutzen. 1834 zählen die Orte Balhorn, Merxhausen, Riede und Sand 2.400 Einwohner. Heute sind es rund 6.050.

Ab 1904 verband die Kassel-Naumburger Kleinbahn Balhorn und Sand mit der Stadt Kassel. Für Handwerk, Handel und Arbeiter eröffneten sich neue Möglichkeiten.

Zwei große Kriege forderten im 20. Jh. ihren Blutzoll auch bei den Menschen unserer Region. Ehrenmahle und Gedenktafeln erinnern an die Gefallenen. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten aufzunehmen und zu integrieren. Sie halfen beim Wiederaufbau unserer Dörfer und der Wirtschaft.

Wir haben mit Riesenschritten 500 Jahre nachmittelalterlicher Geschichte unserer Kleinlandschaft durcheilt. Damit schließt sich der Kreis, denn am Ende steht unsere heutige Gemeinde Bad Emstal.


Wir danken an Dieser stelle!

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Joachim Hübner (†)

für die inhaltliche Gestaltung dieser Seite.

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